Essayreihe der Ernst von Siemens Musikstiftung
Lydia Goehr, 2023 Musik, Maß, Klima
CELSIUS 232.7. Ich konvertiere den Titel, den der amerikanische Autor Ray Bradbury seinem Roman Fahrenheit 451 von 1953 gab. Von Amerika nach Europa. Bradbury interessierte, bei welcher Temperatur sich Papier selbst entzündet. Bei verschiedenen Messprotokollen variierten die Ergebnisse je nach Papiergewicht und -dicke. Doch es kam Bradbury weniger auf Genauigkeit an, sondern mehr darauf, wie Politik und Vorhersagen das Schreiben von Science Fiction prägen. Politik und Vorhersagen sind zwei Themen meines Essays: Warum Vorhersagen dringender werden unter den gesellschaftlichen Bedingungen des Klimawandels, wobei eine Art des Wandels den Technologiewandel betrifft, eine zweite Art von Wandel die Bewegung zwischen akademischer Wissenschaftlichkeit und dem Schreiben für Zeitungen (wie sie auf dem Originaleinband von Bradburys Roman zu sehen sind) 1, und die dritte Art des Wandels betrifft Paradigmen des Komponierens, die in ein unruhiges soziales Muster von Produktion und Rezeption eingebettet sind. Bradbury beschrieb eine Welt in Flammen, in der erst Bücher, dann Menschen brennen. Er ließ Bücher zu Personen werden, sodass ein Verlust von Wissen auf Papier zu einem Verlust für die Erinnerung und den Geist wurde. Bradbury war weder der Erste noch der Letzte, der eine lodernde Welt heraufbeschwor: Das „Fegefeuer der Eitelkeiten“ zerstörte in Florenz Tausende menschlicher Artefakte auf einem öffentlichen Platz, und Jahrhunderte später schilderte Nathaniel Hawthorne in einer Kurzgeschichte von 1844 eine Bücherverbrennung unter der Überschrift „Earth’s Holocaust“. Bradburys hochtemperiert verfasste Dystopie imaginierte eine zukünftige Welt, die von allen möglichen Formen von Konsum verzehrt und über die in den Schlagzeilen und Slogans der Tageszeitung berichtet wird. Die Zukunft zu Schreiben hieß für Bradbury, die Gegenwart im Schatten der Vergangenheit zu schreiben: sprich, zu schreiben mit Warnzeichen inner- und außerhalb der Zeit. [… in voller Länge als Druckversion erhältlich….]
Essayreihe der Ernst von Siemens Musikstiftung
Sophie Emilie Beha Katalysator am Puls der Zeit – 50 Jahre Ernst von Siemens Musikstiftung
Ernst von Siemens war vieles – auch ein Katalysator für die Künste. Indem er 1972 die Ernst von Siemens Musikstiftung gründete, ermöglichte er Projekte und Karrieren – und das weit über seine eigene Lebenszeit hinaus. Der Enkel des Firmengründers Werner von Siemens kam am 9. April 1903 etwas südwestlich von London in Coombe House Kingston Hill zur Welt. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er auf dem familiären Anwesen, dem Heinen- hof in Potsdam, umgeben von zehn Hektar Park und zwei Seen. So idyllisch das auch klingen mag – Ernst von Siemens war gerade einmal 15 Jahre alt, als Deutschland und seine Verbündeten den Ersten Weltkrieg verloren. Noch wenige Monate zuvor war ihm vom Real-Gymnasium Potsdam ein Zeugnis ausgestellt worden: „Betragen: gut, Aufmerksamkeit und Fleiß: genügend; Reife zur Obersekunda.“ Nach dem Abitur ging Ernst von Siemens nach München, um dort, wie vom Vater Carl Friedrich verlangt, „ein technisches Fach“ zu studieren. Er entschied sich für Physik. Ernst von Siemens war fleißig: Bereits fünf Jahre später schrieb er seine Dissertation über Spektralmessungen. Gleichzeitig erkrankte er an Polio – unter deren Folgeschäden er sein Leben lang leiden würde, von der er sich aber nicht unterkriegen ließ. Zwei Jahre später, mit 26 Jahren, machte Ernst von Siemens den ersten Schritt ins Berufsleben, natürlich im Familienunternehmen. Über die Jahre hinweg stieg der leidenschaftliche Bergsteiger und Wanderer auch beruflich immer weiter auf: Im Jahr 1941 wurde er schließlich Generalbe- vollmächtigter des Unternehmens – mitten im Zweiten Weltkrieg, also zu einem denkbar schwierigen Zeitpunkt.[… in voller Länge als Druckversion erhältlich….]
Essayreihe der Ernst von Siemens Musikstiftung
Tim Rutherford-Johnson, 2023 Neue Räume, neue Zeiten: Neue Musik seit 1973
Die vergangenen fünfzig Jahre zählen zu den wohl kreativsten und diversesten der Musikgeschichte. Dafür gibt es viele Gründe: Institutionen und Organisationen, die Musik fördern und zur Auf- führung bringen (darunter die Ernst von Siemens Musikstiftung), wuchsen und expandierten, die Tonträgerbranche wuchs rasant, die Musikgenres differenzierten sich aus und befruchteten sich wechselseitig, nach und nach betraten Musiker*innen aller Ethni- en, Geschlechter und sozialen Klassen den Konzertsaal; und ästhetische Konzepte, Technologien und Studienmöglichkeiten verbreiteten sich dank Stipendien, Massen- und Onlinemedien und preiswerter Auslandsreisen weltweit. In diesem Essay werde ich nicht versuchen, all diese Vielfalt – auf unzulängliche Weise – zu beschreiben, sondern wähle einen selektiven Ansatz. Hierbei orientiere ich mich an Manuel Castells wegweisendem drei- bändigem Werk The Information Age und vor allem dem ersten, The Rise of the Network Society betitelten Band. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens analysiert Castells die Zeitspanne von den frühen 1970ern bis zur Jahrtausendwende und deckt somit einen Großteil des hier untersuchten Zeitraums ab. Zweitens konzent- riert er sich auf den Schnittpunkt der Entstehung und flächende- ckenden Verbreitung der Informationstechnologie und der Globalisierung der Weltwirtschaft, zwei Faktoren, die – wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe – die Musik der jüngsten Ver- gangenheit entscheidend mitgeprägt haben. Drittens, und das ist ausschlaggebend, spiegeln sich die strukturellen Veränderungen, die Castells als charakteristisch für das Informationszeitalter her- ausstellt, auch in der Musik dieses Zeitraums wider. In diesem Essay zeige ich anhand von ausgewählten Beispielen auf, wie sich diese sozialen Umbrüche in der Musik niederschlugen, die sie begleitete. [… in voller Länge als Druckversion erhältlich….]
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Essayreihe der Ernst von Siemens Musikstiftung
Christian Grüny, 2023 Höllisch kompliziert – das Neue, das Zeitgenössische und die Musik
Paul Bekker beginnt seinen berühmten Vortrag über „neue Musik“ von 1919 mit einer bedenklichen Beobachtung: In allen künstlerischen Bereichen geht es vorwärts, „sehr bemerkenswerte Neuerscheinungen in bezug auf Art und Richtung des Kunstschaffens“ auf Schritt und Tritt, „[n]ur in der Musik merkt man wenig oder fast gar nichts von diesem unmittelbaren Miterleben der Gegenwart, und der außenstehende Beobachter kommt leicht zu dem Rückschluß, daß in der musikalischen Produktion Neues im sachlich
ernsthaften Sinne eben nicht vorhanden sei“. Nun ist es es in Bekkers Augen tatsächlich ganz anders: Er findet sehr wohl aktuelle Entwicklungen, die sich mit denen in der bildenden Kunst, der Architektur, der Literatur und dem Theater messen können, nur sind diese einer allgemeinen Öffentlichkeit noch nicht auf die gleiche Weise ins Bewusstsein getreten und werden vom Musikbetrieb weitgehend ignoriert. [… in voller Länge als Druckversion erhältlich….]
Druckversionen der Essays
Bei Interesse an den Essaybänden schreiben Sie eine Mail an info@evs-musikstiftung.ch